Das Spinnrad - das missverstandene Wesen

Die Geschichte des Spinnrads ist eine Geschichte voller Missverständnisse.

Diesen Artikel wollte ich schon seit 2 Monaten schreiben, weil mich die überhebliche Art und Weise einiger Mitmenschen echt ankotzt, die der Meinung sind, die Weisheit mit den Schöpflöffeln gefressen zu haben und auch, weil leider nicht jeder seinen Kopf einsetzen kann und nur nachplappert. Und da es im Internet keinen vergleichbaren Artikel gibt, hab' ich mich nun entschlossen es doch zu tun.

Zuerst möchte ich beleuchten, wieso 90% der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, daß Dornröschen sich an einem SpinnRAD gestochen hat und diesen Schwachsinn auch noch ihren Kindern erzählen und generell weiterverbreiten.

Generationen von Deutschen, und Amerikanern haben sicherlich in ihrer Kindheit das Märchen von Dornröschen gelesen oder vorgelesen bekommen oder sogar nur erzählt bekommen. Grundsätzlich sind Märchen ja sehr brutale Geschichten und voller versteckter Andeutungen und es gibt sogar eine richtige Märchenforschung. Natürlich ist es grundsätzlich keinesfalls etwas Schlechtes, seinen Kindern Märchen mündlich weiterzugeben, wie es einst unsere Vorfahren taten. Aber dabei sollte man stets sorgfältig genug sein und auch den tatsächlichen Inhalt des Märchens wiedergeben.
Aber doch dann bitte richtig und nicht, indem man die Kinder mit einer DVD abspeist.

Dornröschen und das Spinnrad - Ausschnitt aus der Disney- DVD
Copyright by Disney

Selbstverständlich sind Film und Buch zwei unterschiedliche Medien und nicht alles, was im Buch toll klingt, funktioniert auch im Film. Man denke da nur an die Harry Potter Bücher und die abweichenden Verfilmungen. Und so kommt es auch, dass der Film von Disney (und dem folgend weitere Filme) sich zwar grundliegend an das Original von den Gebrüdern Grimm hält, jedoch in diesem entscheidenden Punkt von der Buchvorlage abweicht.

In der Fassung der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1812 wird im Märchen Dornröschen dem lange kinderlosen Königspaar doch ein Mädchen geboren und es sind zwölf gute Feen eingeladen, weil die Königsfamilie nur zwölf Gedecke hat, aber in diesem Reich gibt es insgesamt dreizehn Feen. Leider bekommt die dreizehnte Fee Wind von der Sache und lädt sich selber ein. Und weil sie erzürnt ist, dass die Königsfamilie sie nicht eingeladen hat, verflucht sie auf der Feier anlässlich der Geburt Dornröschens, das Baby. Sie sagt: "Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen".

Daraufhin trifft Dornröschens Vater, der König, ganz um ihr Wohlergehen besorgt, eine Entscheidung: "Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren wollte, ließ den Befehl ausgehen, dass alle Spindeln im ganzen Königreiche sollten verbrannt werden."

Es vergehen 15 wunderbare Jahre, nichts passiert. An ihrem 15. Geburtstag ist Dornröschen ganz allein, weil ihre Eltern ausgefahren sind. Sie langweilt sich und läuft durch das Schloss und stöbert herum, wie Kinder und Jugendliche nun mal so sind. Und so steht im Märchen weiter: "Es [Dornröschen] stieg die enge Wendeltreppe hinauf und gelangte zu einer kleinen Türe. In dem Schloß steckte ein verrosteter Schlüssel, und als es umdrehte, sprang die Türe auf, und saß da in einem kleinen Stübchen eine alte Frau mit einer Spindel und spann emsig ihren Flachs. „Guten Tag, du altes Mütterchen", sprach die Königstochter, „was machst du da?" „Ich spinne", sagte die Alte und nickte mit dem Kopf. - „Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?" sprach das Mädchen, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie aber die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Erfüllung, und sie stach sich damit in den Finger." Und der Fluch der dreizehnten Fee trifft sie, sie fällt in einen hundertjährigen Schlaf, aus dem sie von einem Prinzen durch einen Kuss erlöst wird und sie heiraten. Ende gut, alles gut.
spinnrad_grafik

Wer des Lesens mächtig ist - und laut der Ergebnisse der letzten PISA-Studie, die ebenfalls diese Woche vorgestellt wurden, soll das ja seit 2000 vor allem im Osten Deutschlands besser geworden sein - wird nun zweifelsfrei etwas von "Flachs" und "Ding, das so lustig herumspringt" gelesen haben. Zwei Schlüsselwörter, die eine eindeutige Botschaft vermitteln sollten: es handelt sich dabei um eine Handspindel.

Natürlich gibt es auch für Spinnräder Zubehör, mit dem man auf dem sogenannten "Rocken", einem gedrechselten langen Stab, Flachs zum Verspinnen anbringen kann, wie in den Film- und Theaterfassungen angedeutet, aber erstens sind diese, zumindest wenn es sich um Spinnradzubehör handelt, sehr lang, und hängen entsprechend hoch - und die Menschen, natürlich auch die Kinder, waren zu der Zeit als das Märchen entstand noch sehr viel kleiner als heutzutage. Bester Beweis dafür sind die hervorragend erhaltenen Möbel im Schloss von Versailles und diverse erhaltene Kleidungsstücke aus jener Zeit, und zweitens sind Rocken meist nicht so spitz wie eine Nadel.
Rein physikalisch, aufgrund der Bauart eines Spinnrades und der sitzenden Haltung, die ein Spinnender einnimmt, wäre es schwer - eigentlich schlicht unmöglich - während des Spinnens, wie im Märchen beschrieben, seine eine Hand so hoch zu halten, dass man an das obere Ende des Rockens käme. Abgesehen von dieser simplen Tatsache braucht man auch zwei Hände zum Spinnen mit dem Rad, es kann also logischerweise gar keine Hand frei sein, die da während des Spinnens an den Rocken fassen könnte.

Beim Spinnen mit der Handspindel, auch Fallspindel genannt, sieht die Sache doch schon wieder ganz anders aus: Zum einen gibt es Phasen beim Handspinnen, wo man diese (verbunden mit einer Drehung) fallen lässt, sodass sich das Garn eindrehen kann, dabei hält man den Faden mit nur einer Hand und zum anderen waren früher einige Handspindelspitzen sehr stark angespitzt, um das Spinnen von Flachs zu erleichtern, was heute auch wieder anders ist, da meist Wolle und nicht Flachs mit der Hand gesponnen wird, weil schlicht der Bedarf in Westeuropa nicht besteht Flachs zu spinnen. In dem Buch "vergessene Haushaltstechniken" von John Seymour, Im Kapitel über das Spinnen, genauer auf Seite 145 der im Urania- Verlag erschienenen Ausgabe von 2008 gibt es eine Zeichnung, die diese Bauweise der Handspindel belegt, auf Seite 148 schreibt Seymour gar folgendes: "Die einfachste Methode zum Verspinnen von Flachs ist die Verwendung von Spinnrocken und Spindel. Der Flachs wird um den Stab des Spinnrockens gebunden, und die Spinnerin zieht mit Daumen und Zeigefinger mehrere Fasern ab. Diese Fasern befestigt sie an der runden Spindel, die an einem Ende zugespitzt ist, und dreht diese dann mit der Hand, wodurch die Fasern zu einem Faden verzwirnt werden." Im Unterschied zum Spinnrad, verfügt die Handspindel also über eine Spitze, wo sich Dornröschen stechen konnte - ganz so, wie in der Originalversion des Märchens angedeutet.

In der zweiten Version des Märchens, geschrieben von Ludwig Bechstein, wird noch etwas klarer, dass die Gebrüder Grimm keineswegs das Spinnrad gemeint haben können.
Dort schafft der König die Spindeln ab, und lässt stattdessen Spinnräder einführen. Eine sinnvolle Bemerkung, denn es kann ja kein ganzes Reich jahrzehntelang aufs Spinnen verzichten in einer Zeit, lange vor der Erfindung der industriellen Spinnmaschinen. Kulturhistorisch ist belegt, dass es Spinnräder schon seit dem Spätmittelalter gibt, also ist diese Passage auch schlüssig.

Hier noch mal für den direkten Vergleich mit der Originalfassung die entsprechenden Zitate aus der Fassung von Ludwig Bechstein:
"Der König ließ sogleich ein Regierungsmandat im ganzen Lande ergehen, kraft dessen alle Spindeln „überall abgeschafft, und dafür die Spinnräder eingeführt wurden"
Handspindel
"[...] Und da bekam die Prinzessin gerade Lust, sich im Schloss ein bisschen umzusehen, ging durch mehre Gemächer und kam an eine Treppe, die zu einem alten Turm führte; diese stieg es hinan und kam an ein niedrig Kammertürlein, da steckte ein alter verrosteter Schlüssel daran, und neugierig, wie die ganz jungen Mädchen sind, drehte die Prinzessin an dem Schlüssel, und die Türe ging gleich auf. Da saß ein uraltes Spinneweiblein und spann emsig mit einer Spindel; es mochte wohl des Königs Gesetz nicht gehört oder gelesen, oder es längst vergessen haben. Die umher tanzende, auf und nieder wirbelnde Spindel machte der jungen Königstochter viel Freude, sie haschte nach der Spindel, wollte auch spinnen und stach sich damit [...]"

Im Märchen symbolisiert das Spinnrad, dass die weiblichen Protagonisten die Fäden des Schicksals in den Händen halten und ebenso Autonomie. Da das bei Dornröschen jedoch keinesfalls zutrifft, wurde hier Aufgrund dieser Symbolik von den Gebrüdern Grimm bewusst die Handspindel gewählt.

Noch immer begegnen Frauen, die ihr Garn selber spinnen, was in unserer heutigen hektischen Zeit immer mehr zunimmt - und im Übrigen neben dem Lesen ebenfalls eine wunderbare Beschäftigung für die kalte Winterzeit darstellt- dem sich hartnäckig haltenden Urteil, dass man sich am Spinnrad stechen kann, und waren bisher dem Unwissen der breiten Bevölkerung wehrlos ausgeliefert.

Ich hoffe, daß nun ein bisschen Licht in das Dunkel gekommen ist und der Irrglaube vom Spinnrad, an dem man sich stechen kann, weil es angeblich in dem Märchen Dornröschen der Fall gewesen sein soll, langsam ausstirbt und ich den ambitionierten Spinnradspinnern da draußen eine Anregung gebe sich gegen dumme Vorurteile zu wehren.

(Und für alle Eltern unter meinen Lesern: lest euren Kindern das Märchen nur in der Originalfassung oder der Bechsteinschen Fassung vor, anstatt sie mit einem Film abzuspeisen, und wenn ihr besonders engagiert seid, dann zeigt euren Kindern den Unterschied zwischen einer Handspindel und einem Spinnrad, das gibt später in der Schule bestimmt Pluspunkte und hilft, die Kenntnis um diese alte Kulturtechnik, des Spinnens, vor dem Aussterben zu bewahren.)

3 Kommentare

interessante Gedanken, hab ich mir noch nie so �berlegt...hab auch noch nie jemanden sagen geh�rt dass man sich an nem Spinnrad stechen kann. aber leute die sich damit nicht besch�ftigen kennen wohl oft auch den unterschied nicht. und dass Spindeln fr�her spitz waren hab ich ehrlich gesagt auch nicht gewusst. ich hatte mir das stechen immer mit dem Zauber der Fee erkl�rt. sch�n, wieder von dir zu lesen. :o)

F�r die ausf�hrliche Unterscheidung zwischen Spindel und Spinnrad
herzlichen Dank! Gerade hatte ich eine Anfrage, wo man sich an der
Spindel(vom Fragenden als Bestandteil des Spinnrades
vorausgesetzt)stechen k�nne, wie es bei den Gebr�dern Grimm erz�hlt
wird. Darauf konnte ich nicht antworten, denn am Spinnrad gibt es au�er
den H�kchen am Spinnfl�gel, der die Spule auf der Spindel uml�uft,
keine spitzen Enden, die zum Stechen geeignet sein k�nnten. Aber auch
an einer Handspindel habe ich noch keine gef�hrliche Spitze gesehen -
m�glicherweise war keine Flachsspindel darunter, wie ich soeben gelernt
habe.

Sehr sch�ner Artikel.
Da ich Spinnerin bin und auch bereits �ffentlich auf Messen und Kunsthandwerkerm�rkten gesponnen habe, ist mir jener aberwitzige Kommentar mit D�rnr�schen " Stich per Spinnrad " oft begegnet.
Fallspindeln hatte ich leider nicht zur Hand, da h�tte ich es sofort zeigen k�nnen.
Ebenfalls bin ich eifrige M�rchenleserin und diese Versionen des M�rchens sind mir bekannt und auch jenes erw�hnte Buch von John Seymor habe ich und liebe es sehr.
Es ist sch�n das alles zu lesen. Danke f�r Deinen Artikel.
Es ist in eier einzigen Zeichnung gezeigt wie die Fee auf einem erh�hten Podest in einem Stuhlsessel sitzt und die Fallspindel bedient,
Die Fallspindelstrecke wird durch das Podest erh�ht. und es gibt viele Spindeln mit spitzem Ende dami sie sich auf dem Boden weiterdrehen ( wie bei einem Kreisel)
Bild zu finden von Otto Kubel ( Postkarte ) oder Buchillustration von 1890 von Aleander Zick.
Da wird es ichtig gezeigt ( Flachsrocken und Fallspindel)
Gern k�nnen wir uns dar�ber weiter austauschen.
winkt ZILLY


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